Ergänzung 2.7: Differenziale in der Thermodynamik
Zustandsgrößen und andere Größen
In der Ergänzung 2.3 wird eine Änderung der Entropie eines Mediums bei einer Temperatur durch einen Transport von Wärme erklärt:
Zur Darstellung des Wärmetransports wird der erste Hauptsatz
genutzt, in dem die innere Energie des Mediums, der Druck, eine Änderung des Volumens und die vom Medium an die Umgebung abgegebene Volumenarbeit bedeuten. Hierbei fällt auf: die Beziehungen enthalten ausschließlich differenzielle Größen, und für die Schreibweise gibt es zwei Symbole: und . Es stellt sich auch die Frage, weshalb die Gleichungen nicht mit endlichen Größen statt Differenzialen formuliert werden, der erste Hauptsatz beispielsweise in der Form .
Die Wärme gehört zu den Größen, deren Änderung in einem Medium nicht immer zu dem gleichen Ergebnis führt. Vielmehr ist das Ergebnis auch von anderen physikalischen Größen abhängig. Ein Gas, das in einem Zylinder einen Kolben bewegt - also bei einer Expansion Volumenarbeit verrichtet oder bei einer Kompression aufnimmt -, und in dem durch eine Verbrennung von Treibstoff Wärme freigesetzt wird, erreicht nach Durchlaufen eines vollständigen Zyklus des Kolbens je nach dem Zeitpunkt der Wärmefreisetzung einen anderen Endzustand: der Wärmeinhalt des Gases hat sich geändert. Für das Integral der umgesetzten Wärme über den vollständigen Zyklus der Kolbenbewegung gilt daher
das geschlossene Wegintegral ist somit nicht gleich Null. Nun betrachten wir den Druck im Zylinder. Wird der Kolben ohne Verbrennung von Treibstoff bewegt, und ist seine Bewegung reibungsfrei, ist der Zylinder gasdicht und zur Umgebung gegen Wärmeverluste isoliert (d.h. adiabatisch abgeschlossen), so ist der Druck im Zylinder nach einem vollständigen Zyklus derselbe wie zuvor:
Betrachten wir eine Bewegung des Kolbens zwischen zwei Positionen 1 und 2 mit den Volumina und des im Zylinder eingeschlossenen Gases, so gilt ganz unabhängig von Details des vom Kolben durchlaufenen Wegs für die zugehörigen Drücke:
Da der Druck dem Zustand des Mediums eindeutig zugeordnet werden kann, bezeichnet man ihn als thermodynamische Zustandsgröße. Das entsprechende Integral der Wärme
liefert hingegen eine Ergebnis, das vom Weg abhängt und sich nicht als Differenz der Werte von Anfangs- und Endzustand des Mediums darstellen lässt. Sie gehört zu den "sonstigen thermodynamischen Größen", eine eigene Bezeichnung hat sich hierfür bisher nicht gefunden. Mit endlichen statt differenziellen Werten formuliert gilt daher für den ersten Hauptsatz:
Der Umstand, dass die Wärme nicht eindeutig wegunabhängig integriert werden kann, hat zur Folge, dass in mathematischem Sinn ein Integral des Differenzials der Wärme nicht existiert. Um dies zu verdeutlichen, wird das Differenzial mit dem -Symbol statt dem geschrieben. Das Integral einer differenziellen Zustandsgröße existiert hingegen.
Um dies in allgemeiner Weise zu präzisieren, betrachten wir das bereits in der rechten Spalte der Ergänzung 2.6 diskutierte Differenzial
Ob eine Stammfunktion existiert, hängt von den partiellen Ableitungen und ab. Dies ist der Fall, wenn die Funktion mit ihren Ableitungen stetig ist. Dann gilt:
Für einen Test der Integrierbarkeit müssen somit die partiellen Ableitungen nach den jeweils anderen Variablen differenziert und die Ergebnisse auf Gleichheit geprüft werden. Sind sie gleich, so existiert das Integral, andernfalls existiert es nicht. Angewandt auf thermodynamische Größen: Sind die entsprechenden Ausdrücke gleich, so liegt eine Zustandsgröße vor, andernfalls ist es eine "andere Größe".
An drei sehr einfachen Beispielen soll dies erläutert werden.
Beispiel 1:
Für das Differenzial
ergibt die überkreuzte Ableitung die Ausdrücke
das Differenzial ist somit integrierbar, und es ist: .
Beispiel 2:
Für das Differenzial
ergibt die überkreuzte Ableitung die Ausdrücke
es existiert daher keine Stammfunktion.
Beispiel 3:
Es ist durchaus möglich, dass aus einem nicht integrierbaren Differenzial durch Division mit einem geeigneten Ausdruck ein integrierbares Differenzial entsteht. Das Differenzial aus Beispiel 2 geteilt durch ,
wird dadurch zu einem integrierbaren Differenzial. Rechnen Sie es bitte selbst nach!
Mit Bezug zur Thermodynamik verdeutlicht das dritte Beispiel, dass das Differenzial der Wärme geteilt durch die Temperatur zu einer Zustandsgröße werden kann, die Entropie
Dies wird in dem Lehrbuch
Thermodynamik, Theorie und Anwendung
Autoren: Michael M. Abbott & Hendrik C. van Ness
Verlag: Schaum's Outline, McGraw-Hill Book Company Europe, 1976
dem auch die oben genannten Beispiele entnommen sind, ausführlich dargestellt.