4. Invasive Arten im Meer
Fallstudie: Die pazifische Auster in der Nordsee
Einführung
Die Miesmuschel (Mytilus edulis) hat eine große Bedeutung für die Gezeitenzone (das Eulitoral) des Ökosystems Wattenmeer. Miesmuschelbänke sind wichtige biogene Strukturen, die als Lebensraum und Nahrungsquelle für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten fungieren. Sie beeinflussen die hydrodynamischen Prozesse, indem sie die Strömungsraten reduzieren und Sand und Schlick zurückhalten.
Seit den späten 1990er Jahren hat sich die Pazifische Auster (Crassostera gigas) von Ostfriesland aus entlang der deutschen Wattenmeerküste ausgebreitet. Heute ist sie in allen Miesmuschelbänken im gesamten Wattenmeerraum verbreitet, von den Niederlanden im Westen bis nach Dänemark im Norden. Einige Muschelbänke beherbergen mehr als 1000 Exemplare pro Quadratmeter. Die Pazifische Auster ist somit eine invasive Art im Nordseeraum.
Entwicklung der Miesmuschelpopulation in der Nordsee
Der Lebensraum der Miesmuschel ist in den letzten Jahrzehnten stark eingeschränkt worden. In Niedersachsen ist er beispielsweise von 50 km2 im Jahr 1975 auf 27 km2 in den Jahren 1989/91 zurückgegangen. Im Frühjahr 1996 wurde mit 1,7 km2 der bisherige Tiefststand erreicht.
Die Gesamtbiomasse der Miesmuscheln ist von 47.000 t in den Jahren 1989/91 auf 1.000 t im Jahr 1996 zurückgegangen. Das entspricht einem Verlust von 60% Biomasse, der Verlust an Habitatfläche betrug im selben Zeitraum 47%.
Infolge eines späten Brutfalls im Sommer 1996 vergrößerte sich die Fläche der Miesmuschelbänke
wieder auf 29 km2 (1999) mit einer Biomasse von 110,000 t.
(Datenquelle: Nationalpark Niedersächisches Wattenmeer)
Die Ausbreitung der Pazifischen Auster in der Nordsee
In den 1960er Jahren wurde die Pazifische Auster in die Niederlande importiert, um sie dort zu züchten. Die Annahme der Züchter, dass Kulturaustern in freier Wildbahn in unserem Klima mit relativ geringen Wassertemperaturen nicht überleben, hat sich nicht bestätigt. Die Pazifische Auster hat sich schnell angepasst und vermehrt sich sogar schneller als die heimische Miesmuschel. Die Auster kann in einer Brutperiode um die 50 bis 100 Millionen Eier produzieren, was mehrmals in einer Saison vorkommen kann. Die Larven entkommen den Austernkulturen mit den lokalen Küstenströmungen. Neben einem erfolgreichen Brutfall beeinflussen daher auch die Windverhältnisse ihre Ausbreitung.
In den späten 1990er Jahren wurden Exemplare der Pazifischen Auster an verschiedenen Orten auf den Ostfriesischen Inseln gefunden. Im Jahr 1986 wurde sie zum Zwecke der Kultivierung nach Sylt gebracht. Schon wenige Jahre später wurden erste Exemplare in freier Wildbahn rund um die Insel entdeckt.
Aufgrund eines guten Brutfalls im Jahr 2003 sind viele Austernbänke schnell gewachsen und haben sich an unterschiedlichen Orten zu soliden Riffen entwickelt. Heute siedeln dort bis zu 1400 Pazifische Austern auf 1 m2 (das durchschnittliche Vorkommen liegt bei 300 Exemplaren pro m2). Jüngere Austern siedeln sich auf älteren Austern an. Mittlerweile gibt es im Wattenmeer keine reinen Miesmuschelbänke ohne Austernbewuchs mehr.
Wie kommen die Miesmuschel und die Pazifische Auster miteinander aus?
Die Miesmuschel und die Pazifische Auster konkurrieren um Nahrung. Beide Arten leben in der Gezeitenzone (dem Eulitoral) des Wattenmeers, wo sie gelöste Nährstoffe aus dem Meerwasser filtern. Die Auster dominiert jedoch in ihrem Wachstum: sie kann bis zu 5 cm pro Jahr wachsen und eine Größe (Länge) von bis zu 30 cm erreichen, was mehr als der doppelten maximalen Größe der Miesmuschel entspricht. Die Larven der Pazifischen Auster bewegen sich schneller als die der Miesmuschel und haben somit einen Vorteil bei der Flucht vor potentiellen Feinden. Die einheimische Muschel dient als Nahrungsquelle für Vögel, Krabben und Seesterne. Die gebietsfremde Auster hat keinerlei natürliche Feinde in der Nordsee. Sie siedelt sich auf Muschelbänken an, zementiert sich dort fest und bildet Riffe aus, wodurch ein Teil der Miesmuschelbestände vernichtet wird. Die Pazifische Auster muss daher als potentielle Gefahr für die Miesmuschelbänke des Wattenmeers betrachtet werden.
Ein Triumph für die Pazifische Auster?
Eigentlich kommen die beiden Tiere am Ende ganz gut miteinander aus. Sie können komplexe und artenreiche Gesellschaften mit Algen, Strandschnecken und Miesmuschellarven bilden. Bislang gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die pazifische Auster die Miesmuscheln verdrängt hat oder in der Zukunft verdrängen wird.
Ein Managementplan für die Miesmuschel im Wattenmeer
Der Abwärtstrend der Miesmuschelpopulation bis zur Mitte der 1990er Jahre und kontroverse Diskussionen der Öffentlichkeit darüber, ob das Fischen von Miesmuscheln eine mögliche Ursache für deren Rückgang sei, führte zu der politischen Entscheidung, einen Managementplan für die Miesmuschel im Wattenmeer zu entwerfen. Die zwei wichtigsten Schritte waren
- die gesetzliche Regulierung der Miesmuschelfischerei
- die forlaufende Beobachtung der Miesmuschelbänke
Als Folge davon wurden erheblich Teile des dänischen, deutschen und niederländischen Wattenmeers dauerhaft für die Miesmuschelfischerei geschlossen.
Beobachtung von Miesmuschelbänken
Die genaueste Methode die Lage, Größe und Form einer Miesmuschelbank in der südlichen Nordsee zu ermitteln, wären umfangreiche Geländeaufnahmen. In Anbetracht der Größe des gesamten Gebietes ist das aber nicht realistisch. Die Fernerkundung ist daher eine wertvolle Methode zur Kartierung von Miesmuschelbänken. Die Beobachtung der Muschelbänke erfolgt mit Hilfe der Analyse von Luftbildern in Kombination mit gezielten Geländebegehungen, um die Interpretation des Fotos zu bestätigen (ground truthing).
Beobachtungen aus der Luft werden zu festgelegten Zeiten im Jahr durchgeführt, weil die von Muschelbänken bedeckte Landoberfläche infolge des Brutfalls in den Sommermonaten häufig zunimmt bzw. im Herbst und Winter aufgrund von Stürmen und Eisabrieb zurückgeht.
Die folgende Animation ist das Ergebnis von Laserscanning, das eingesetzt werden kann um Entfernungen zu ermitteln. Gezeigt wird eine Miesmuschelbank im Rückseitenwatt von Juist und Memmert, die zwei jeweils Stunden vor und nach Hochwasser trocken fällt. Die Höhe des trocken fallenden Teils der Muschelbank beträgt etwa 1 m.
Möchten Sie mehr über die Lasercanning-Technik lernen? Schauen Sie sich die Lerneinheit zum Thema Fernerkundung mit Lasern an.
Und wie sieht es mit der Pazifischen Auster aus?
Bis heute gibt es keine Managementpläne für die pazifische Auster. Der Eindringling wird daher nicht regelmäßig und umfangreich beobachtet. Es gibt jedoch einzelne Studien, im Rahmen derer die Entwicklung von Austernriffen auf der Grundlage von Geländebeobachtungen kartiert wurde.
Fragen
- Zwischen den Beobachtungszeiträumen 1989/91 und 1996 nahm die Größe der Miesmuschelbänke
in Niedersachsen um 47% ab, der Rückgang der Biomasse betrug 60%. Warum weichen diese Zahlen so stark
voneinander ab?
- Schauen Sie sich die Karte der Habitate im Wattenmeer (oben) an. Wo denken Sie sind die Lebensräume der
Miesmuschel und der Pazifischen Auster?
- Würden Sie sagen, dass die Pazifische Auster eine Form der Meeresverschmutzung ist? Bedenken Sie, dass die
durch den Menschen in das Gebiet der Nordsee eingeschleppt wurde. Begründen Sie Ihre Antwort.
- Am 26. Juni 2009 ist das Wattenmeer in die UNESCO-Liste des Welterbes der Menschheit aufgenommen worden. Von dem was Sie bisher über das Wattenmeer wissen, was könnten die Gründe für diese Nominierung gewesen sein?